-
Lösungsmittel und kein Ende
-
Vortrag Inge Kroth bei der Mitgliederversammlung von abeKra
vom 14. Bis 16. Mai 2004 in Mainz
Dies ist eine ergänzte Version vom 04. Mai 2011. Ich habe in meinen Ordnern Beweise für Fälschungen der Gutachter und der BG gefunden, die ich hier unter Urkundsbeweis/Augenscheinnahme einfüge.
Voller Elan
1963 eröffneten mein Mann und ich in Koblenz eine Schnellreinigung. Wir waren beide völlig gesund und voller Elan und Arbeitsfreude.
Es gab damals eine neue Generation von Reinigungsmaschinen – nicht mehr die riesigen Industriemaschinen, die vor den Toren der Stadt in Hallen aufgestellt waren – sondern schicke Reinigungsmaschinen, die fast wie Wohnzimmerschränke aussahen, deren Technik sich auf der Rückseite verbarg. Diese relativ kleinen Maschinen wurden mitten in der Stadt in Läden mit großen Schaufenstern aufgestellt, so dass nun unter den Augen der Kunden die Kleidung gereinigt und gebügelt werden konnte.
Das Konzept war einleuchtend: Keine langen Lieferzeiten mehr – die Kleidung sollte in einer Stunde abholbereit sein.
Angeworben wurden vor allem Berufsfremde, da nach Aussage der Maschinenhersteller die Bedienung der Reinigungsmaschinen kinderleicht war, ebenso der Einsatz der Bügelmaschinen. Es musste der Betrieb nur bei der Gewerbeaufsicht angemeldet werden. Er galt als handwerksähnlicher Betrieb. Zwingend vorgeschrieben war die Versicherung bei der Textil – und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft in Augsburg (heute: Energie Textil Elektro).
Die Lieferfirma vermittelte den Neukunden für kurze Zeit zu einem Kollegen zum „Anlernen“, meistens für drei Wochen. Hier sollte er das nötige Rüstzeug erhalten, um die eigene Reinigung erfolgreich führen zu können.
Natürlich wusste die Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft genau, dass die neuen Betreiber der Ladenreinigungen weder Chemiker noch Reiniger waren (Chemiker absolvieren ein Studium, Chemischreiniger ist ein Beruf, der bis zur Meisterprüfung führt). Als Berufsfremde hatten sie auch keine Kenntnisse über die Toxizität der Arbeitsstoffe, mit denen sie jetzt täglich umgehen mussten.
Nun hätte man annehmen können, dass die Berufsgenossenschaft den Neulingen in der Branche das fehlende Wissen vermittelt hätte. Allein schon, um ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, Unfälle und Berufskrankheiten zu verhindern.
Das geschah allerdings nicht.
Wir haben in den ersten sechs Jahren unserer Berufstätigkeit als Reiniger absolut keine Informationen von der BG erhalten. Die Rechnungen für die fälligen Beiträge kamen dagegen pünktlich.
Die BG war und ist durch Gesetz verpflichtet, ausreichende Informationen und Warnungen über die verwendeten Lösungsmittel zur Verfügung zu stellen, genügend Personal für die Überwachung der Betriebe zu halten und Vorsorgeuntersuchungen und Maßnahmen zur Abwendung von Berufskrankheiten zu treffen.
Natürlich wussten wir, dass Perchloräthylen (PER), unser Reinigungsmittel, ein Gefahrstoff ist – genau wie man beim Tanken weiß, dass Benzin ein Gefahrstoff ist. Wobei wir Benzin als gefährlicher einstuften, weil es explodieren kann. Aber weder die Kollegen noch die Berufsgenossenschaft haben uns über Erkrankungen durch Perchloräthylen unterrichtet – schon gar nicht über mögliche Spätschäden.
Frau Dr. Vogel wird Ihnen, meine lieben Zuhörer, bestätigen, dass bereits seit 1930 Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe bekannt waren. Auch wenn ich jetzt etwas vorgreife, möchte ich betonen, dass die Berufsgenossenschaft und ihre Gutachter Spätschäden durch PER bis zuletzt geleugnet haben – bis 2003. Ich kann das anhand unserer Akten beweisen.
Zum Schutz der Beschäftigten in Reinigungen wurden Grenzwerte für Perchloräthylen festgesetzt. Es galt lange ein MAK- Wert von 100 ppm.
Dabei ging man davon aus, „dass bei einer Arbeitsdauer von 40 Stunden wöchentlich und der Einhaltung der maximalen Arbeitsplatzkonzentration von 100 ppm die Gesundheit der Beschäftigten nicht beeinträchtigt wird“.
Nun war eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden zwar für die Angestellten üblich – Inhaber aber mussten in der Regel die doppelte Zeit arbeiten. Sie waren den toxischen Einwirkungen entsprechend länger ausgesetzt.
Es entspricht dem Präventionsauftrag der BGen, die Einhaltung dieser Grenzwerte in den Betrieben durch Emissionsmessungen zu überwachen.
Sie beschäftigen dazu ein Heer von Technischen Aufsichtsdienst-Beamten, kurz TAD genannt. Werden diese Messungen fachgerecht vorgenommen, müssen sie während einer ganzen Arbeitsschicht getätigt werden und der Betriebsraum darf vierundzwanzig Stunden vor der Messung nicht gelüftet werden.
In einer Zeit von sechsundzwanzig Jahren hat die BG bei uns weder eine solche Messung noch eine Messung nach früheren, sehr viel weniger fachgerechten Messanleitungen getätigt!
Dies hat die Textil- und Bekleidungs-BG im Jahr 2002 dem Fernsehmagazin MONITOR gegenüber zugegeben. Sie hat auch keine anderen Firmen mit Messungen beauftragt.
Anmerkung: Was man nicht misst, muss man nicht anerkennen.
48,6 Tonnen PER
Unsere Unkenntnis betreffs der Giftigkeit des Lösungsmittels PER sollte sich als verhängnisvoll erweisen: Die Eröffnung der Reinigung geschah mit defekter Reinigungsmaschine, (Sturz des Großgeräts vom Haken des Kranwagens bei der Anlieferung). Die Folge war, die Maschine gaste massiv aus. Neun Monate lang versuchte der Monteur, Herr Werner Kordisch, auf Kosten der Lieferfirma Mondial-Moderna die Reinigungsmaschine abzudichten, was leider misslang. Bereits kurze Zeit nach der Eröffnung der Reinigung traten bei uns Krankheitssymptome auf: Augenbrennen, Schwindel, Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen und Magenbeschwerden. Die Untersuchungen der aufgesuchten Ärzte brachten keine Ergebnisse. Man hielt uns für Simulanten – die Ärzte hatten keine Ahnung von der Toxizität unserer Arbeitsmittel!
Ab 1970 schickte die Berufsgenossenschaft jährlich einmal ein Mitteilungsblättchen, in dem u.a. stand, dass man das Einatmen von PER-Dämpfen vermeiden solle. – Dies aber war schlicht unmöglich. Die Reinigungsmaschinen waren so konzipiert, dass während der Laufzeit von 60 Minuten die Maschine, technisch bedingt, 15 Minuten an verschiedenen Stellen offen stand und warmes PER austrat. Wir reinigten zehn bis zwölf Maschinen täglich. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich die Raumluft mit Lösungsmitteldämpfen anfüllte.
Die Hersteller der R. Maschinen hatten uns versichert, dass das Lösungsmittel PER durch Destillation vollkommen zurückgewonnen werde. Somit hätte die Menge des PER in den Tanks konstant bleiben müssen. Das tat sie aber nicht. Wir haben in den sechsundzwanzig Jahren 48,6 Tonnen PER nachkaufen müssen, da das Lösungsmittel großenteils in den Arbeitsraum verdunstete – und natürlich von uns eingeatmet werden musste. Die PER-Rechnungen wurden dem Sozialgericht Koblenz vorgelegt, es kam absolut keine Reaktion.
Diese ausgegasten 48,6 Tonnen PER sind von der BG nie angezweifelt worden!
1976 fanden wir endlich einen kompetenten Arzt, Dr. Kuntzmüller in Stromberg, der eine Reihe von schweren Erkrankungen bei uns feststellte und u.a. unsere Leber- Nieren- und Bauchspeicheldrüsenentzündungen mit relativem Erfolg behandelte.
Da unsere Erkrankungen sich über Jahre hin stets am Wochenende besserten und die Symptome in den vierwöchigen Ferien sogar fast ganz verschwanden, machten wir im Winter noch ein zweites Mal zwei Wochen Ferien am Meer. Wir hofften so unsere Gesundheit zu stabilisieren zu können.
1979 kam es zu einem Maschinenschaden, bei dem wir ungewollt größere Mengen PER einatmeten. Als sich unser Gesundheitszustand danach verschlechterte und bei mir nach einigen Wochen auch noch Sehstörungen auftraten, die sich rasant steigerten, begriffen wir, dass dies nicht nur ein Maschinenschaden, sondern ein Berufsunfall gewesen war. Wir erstatteten Meldung bei der BG.
Aber erst 1982, fünfzehneinhalb (15,5) Monate nach dem Maschinenschadenunfall, wurde ich zu einer Untersuchung nach Erlangen ins Arbeitsmedizinische Institut zu Prof. Valentin/Dr. Triebig einbestellt.
Ich erinnere mich noch gut an die fast feindselige Behandlung durch die Schwestern und den Augenarzt. Dieser sagte abfällig zu mir, er könne die Blitze in den Augen, die ich angäbe, nicht objektivieren. Als ich mich über das Tempo bei der Gesichtsfelduntersuchung beschwerte, meinte er: „Ich habe noch mehr Rentenjäger zu begutachten.“
Das Gutachten bescheinigte mir zwar
1. eine chronische PER-Exposition
2. eine akute Intoxikation während des Unfalls 1979
behauptete aber, ich litte derzeit unter keinen manifesten Gesundheitsschäden. Die nach dem Unfall aufgetretenen Sehstörungen (Blitze) bezeichnete man als „schicksalhafte Erkrankungen“.
Gegen den auf diesem Gutachten basierenden BG-Ablehnungsbescheid klagte ich 1982 beim Sozialgericht Koblenz. Ich wurde damals nicht von einem Anwalt vertreten. Man hatte mir versichert, ich bräuchte keinen Anwalt. Außerdem war ich damals noch der Meinung, dass vor einem deutschen Gericht Recht gesprochen wird. Auf Drängen des Richter Binz zog ich meine Klage zurück. Man verschwieg mir, was dies für Folgen hatte.
Anmerkung: Meine lieben Zuhörer, ich kann Sie nur bitten, gehen Sie nie ohne einen guten Anwalt vor ein Sozialgericht, wenn Sie nicht von vorne herein Schiffbruch erleiden wollen.
Das Zurücknehmen der Klage hat meinen späteren Prozess ungünstig beeinflusst – das kann ich heute mit ausreichender Sicherheit sagen.
Nicht einmal nach diesem Berufsunfall gab es irgendwelche Auflagen der BG – auch unterblieben jegliche Vorsorgeuntersuchungen, bzw. Hinweise der BG darauf, dass wir uns zur Vorsorge arbeitsmedizinisch untersuchen lassen sollten.
Überall Merkzettel
Etwa zwei Jahre nach dem Unfall begannen sich bei uns beiden gravierende Gedächtnisstörungen bemerkbar zu machen. Wir waren nicht mehr in der Lage, Terminaufträge zu behalten. Besonders betroffen machte es uns, dass wir uns an die Namen unserer Kunden nicht (mehr) erinnern konnten. Den Inhalt eines Telefonates konnten wir nach einer halben Stunde nicht mehr wiedergeben. Wir begannen, überall Merkzettel anzubringen und mussten uns vielfach auf das Gedächtnis unserer Mitarbeiter verlassen.
Bei mir traten immer wieder Bauchspeicheldrüsenerkrankungen auf. 1988 begann mein rechtes Auge zu flattern. Es kamen Gesichtskrämpfe dazu und eine Lähmung der Stirn. Mein Mann litt an Herzrasen und nächtlichen Schweißausbrüchen.
Wir wussten nicht wie uns geschah. Im Mitteilungsblatt der BG wurde PER noch 1989 als mindergiftig ausgegeben (!).
Mittlerweile waren Textilreinigungen in das Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Zeitungen berichteten in riesiger Aufmachung von wissenschaftlichen Untersuchungen, die bewiesen, dass Perchloräthylen durch Wände und Decken dringt und fetthaltige Lebensmittel in benachbarten Läden und Wohnungen vergiftet.
Anmerkung: Da wir das bis dahin nicht wussten, hatten wir 26 Jahre lang in unseren Betriebsräumen gegessen und getrunken, so dass wir das PER nicht nur durch Haut und Atemwege aufgenommen hatten, sondern auch mit der Nahrung.
Da der inzwischen auf 50 ppm herabgesetzte Grenzwert keinen ausreichenden Schutz bot – denn die Reinigungsmaschinen gasten nach wie vor aus – wurden gegen Ende der 80er Jahre Zehntausende von Reinigungen in Deutschland – ebenso in Österreich – geschlossen. Man versuchte nun, die Textilreinigungen wieder aus den Städten zu entfernen.
Es wurde eine neue Bundes-Immissionsschutz-Verordnung (BIMschV) erlassen, nach der u.a. die Fabrikanten – endlich – verbesserte Reinigungsmaschinen herstellen mussten. Doch wir waren inzwischen so krank, dass wir Mitte 1989 unser Geschäft aufgeben mussten.
Eine Odyssee durch ärztliche Praxen begann
1996 suchte ich den Neurologen, Dr. Binz, auf, um die Nervenerkrankung meines Gesichts behandeln zu lassen. Er stellte bei mir die Berufskrankheit mit der Ziffer 1302 fest – Erkrankung durch halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe, in meinem Fall Perchloräthylen – und meldete dies der BG. Meinen (irreparablen) Gesichtsnervenschaden ordnete er als typischen Trichloräthylenschaden ein.
Trichloräthylen? Wir hatten doch nur mit Perchloräthylen gearbeitet?
Anmerkung: Leider war ich damals so unerfahren, dass ich mich nur wunderte, aber nicht einmal nachgefragt habe.
Mittlerweile war ich Mitglied bei abeKra und bekam von dort viele interessante Informationen und gute Ratschläge.
Es folgten 1997 Untersuchungen bei Dr. Kuklinski, Dr. Müller-Kortkamp und Dr. Remmers. Dieser Neurologe scherzte, dass ich, nach meiner Nervenleitgeschwindigkeit zu urteilen, eine Größe von zwei Meter fünfzig haben müsste (tatsächlich bin ich nur ein Meter sechzig groß)! Die Diagnosen aller Ärzte: BK 1302 – Erkrankungen durch halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe. Eine SPECT-Untersuchung wies mäßige Gehirnschäden nach.
Was danach kam, war unglaublich
Die Berufsgenossenschaft reagierte und schickte 1997 einen TAD -Beamten (Technischer Aufsichtsdienst) zur Befragung zu mir nach Hause.
Und damit begann eine Reihe von unglaublichen Vorgängen!
Meine Belastungen wurden heruntergespielt. Es hieß, es seien keine Messungen gemacht worden und daher hätte ich keine Beweise für die von mir angegebenen Belastungen. Eine erhöhte Stichproben-Messung aus dem Jahre 1975, die von der Gewerbeaufsicht durchgeführt wurde, war der BG angeblich unbekannt! (Ich selbst hatte sie beim Einstieg in das Verwaltungsverfahren aus der BG-Akte kopiert!)
Diese mehrfach vorgelegte Messung wurde später von den Gutachtern unterschlagen.
Meine TAD-Berichte, die den Gutachtern zur Risikoabschätzung dienen sollten, wurden so gefälscht, dass keine Belastung mehr zu erkennen war: Die Größe des Ladens, der Standort der Maschine, die Laufzeit der Reinigungsmaschine – alles wurde von der BG gefälscht!
Das absolute high-light ist der nachträgliche TAD-Bericht vom 04.08.1997 des BG-Mitarbeiters Dr. Hoffmann: Eine (niedrige) Emissionsmessung der BG, die am 09.01.1990, also ein halbes Jahr nach Aufgabe meines Berufes bei meinem Nachfolger Reinhard Klasen an einer nagelneuen und verbesserten Reinigungsmaschine getätigt wurde, sollte den Gutachtern beweisen, dass ich keinen Expositionen durch PER ausgesetzt war.
Anmerkung: Man kann doch auch die Abgaswerte eines neuen Mercedes nicht den Abgaswerten eines zwanzig Jahre alten Mercedes gleichsetzen, nur weil beide zufällig (nacheinander) in derselben Garage standen!
Diagnosemanipultionen
1997 veranlasste die BG eine Begutachtung bei einem Neurologen Dr. Martin in Hattersheim. Wie ich später aus der Sozialgericht-Akte entnahm und kopierte, wurde dieser Dr. Martin von der BG ausdrücklich auf diesen dritten TAD-Bericht vom 09.01.1990 (Blatt 201/202) hingewiesen, der die (mich gar nicht betreffende) Messung im Betrieb unseres Nachfolgers enthielt!
Urkundsbeweis/Augenscheinnahme: Das Schreiben der TBBG
Bei der Begutachtungsuntersuchung bei diesem Dr. Martin durfte meine Begleiterin nicht dabei sein. Ihr verwehrte man zweimal massiv den Zutritt.
Den Finger-Nase-Versuch, der zu den Blinduntersuchungen gehört, ließ Dr. Martin trotz meines Protestes bei offenen Augen ausführen! Die Nervenleitgeschwindigkeit konnte nicht gemessen werden, weil das Gerät defekt war.
Später waren im Gutachten neben der Messung der Nervenleitgeschwindigkeit noch mehrere Untersuchungen (Blinduntersuchungen) aufgeführt, die in Wahrheit gar nicht stattgefunden hatten!
Anmerkung: Jetzt begriffen wir auch, warum meine Begleiterin bei den Untersuchungen nicht erwünscht war. Man wollte keine Zeugen!
Urkundsbeweis/Augenscheinnahme: Eidesstattliche Erklärung Schnakenberg
Gestützt auf dieses Gutachten lehnte die BG es ab, meine Erkrankungen als BK-Erkrankungen nach der BK-Ziffer 1302, Halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe, anzuerkennen und mir Versicherungsschutz zu gewähren. Wieder musste ich beim Sozialgericht Koblenz Klage einreichen. Vertreten wurde ich vom VdK.
Prozessbetrug?
Ich legte dem Gericht 1998 eidesstattliche Versicherungen unserer ehemaligen Monteure Kordisch und Nonnenmacher vor, die meine Belastungen am Arbeitsplatz und die häufigen Reparaturen an der ausgasenden Reinigungsmaschine ausführlich beschrieben.
Daraufhin beteuerte die BG in einem Schreiben vom 19.08.1998 an das Sozialgericht Koblenz: Die Beschreibungen der Monteure zu den Arbeitsplatzverhältnissen entsprächen den Ermittlungen ihrer eigenen TAD-Beamten, und ich sei nach diesen Arbeitsplatzbeschreibungen von Prof. Valentin 1882 untersucht worden.
Dies aber war eindeutig nicht nur eine Falschaussage – sondern war oder grenzte m. E. n. an Prozessbetrug! Prof. Valentin lag lediglich der TAD-Bericht vom 10. September 1980 vor, der überhaupt keine Angaben zu den Arbeitsplatzverhältnissen und Einwirkungen enthielt.
Das Sozialgericht Koblenz ordnete nun eine Begutachtung bei Prof. Lehnert in Erlangen und Prof. Grobe in Nürnberg an.
Hier gingen die Fälschungen weiter.
Zum Beispiel: Der untersuchende Arzt, ein Dr. Weihrauch, delegierte eine Ultraschalluntersuchung an Dr. Strebel in Erlangen. Der fragte mich nach der Anzahl der erlittenen Bauchspeicheldrüsenentzündungen. Als er hörte, dass ich zwanzig dieser Erkrankungen angab, sagte er: „Oh – doch so viele?“ Er führte die Ultraschalluntersuchung aus und ich sagte: „Diese Untersuchung ist schon öfters gemacht worden. Ich weiß, dass alle meine Stoffwechselorgane Verdichtungen aufweisen.“ „Ja“, sagte er wörtlich, „tatsächlich – die Leber weist Verdichtungen auf. Aber … das ist völlig ungefährlich. Damit kann man hundert Jahre alt werden! Es gibt viele Leute, die eine solche Fettleber haben.“ Darauf sagte ich: „Viele Leute trinken gewohnheitsmäßig Alkohol und haben deshalb eine Fettleber, ich habe nie Alkohol getrunken.“
Er gab keine Antwort und untersuchte dann Galle und Milz, bei den Nieren stellte er wieder eine Verdichtung fest, die aber auch nichts zu sagen hätte. Dann sagte er abschließend: „ Die Bauchspeicheldrüse kann ich nicht sehen – die zeigt sich nicht!“ Dann noch mal nachdrücklich: „Nein, die Bauchspeicheldrüse kann ich nicht sehen.“
Später hieß es im Gutachten: „Unauffälliger Befund für die Oberbauchorgane.“ Da auch die Bauchspeicheldrüse dazu gehört, forderte ich die Ultraschallfotos an. Stattdessen wurde mir ein ausführlicher Sonografiebericht übersandt, der die (nicht untersuchte) Bauchspeicheldrüse in aller Ausführlichkeit schilderte.
Urkundsbeweis/Augenscheinnahme: Sonographiebefund vom 09.12.98
Nur meiner Ausdauer ist es zu verdanken, dass ich einige Zeit später doch noch die Ultraschallbilder, die erst nicht auffindbar waren, erhielt.
Mein Arzt, Dr. Helling, schrieb am 25.09.1999 an das Sozialgericht Koblenz, dass auf diesen Ultraschallbildern aus Erlangen kein Pankreasorgan abgebildet sei, so dass er darüber keine Aussage machen könne.
Urkundsbeweis/Augenscheinnahme: Bestätigung Dr. Helling (25.09.1999)
Der ausführliche (gefälschte) Sonografiebericht des Dr. Strebel wurde dem Bericht von Dr. Helling angefügt.
Trotz ausführlicher Dokumentation des Nachweises der Fälschung reagierte das Sozialgericht Koblenz darauf nicht.
Auch bei den Untersuchungen durch Prof. Grobe in Nürnberg gab es viele Ungereimtheiten. Zunächst wurde ich anderthalb Stunde von einer Sprechstundenhilfe (!) zu meinen Beschwerden befragt. Sie hatte einen Zettel neben sich liegen und las die Fragen, die sie zu stellen hatte, offensichtlich von diesem Zettel ab. Meine Angaben schrieb sie gleich in den PC. Sie verschrieb sich sehr oft und ließ sich einige Male Fachausdrücke buchstabieren.
Als ich dann endlich in das Zimmer zu Prof. Grobe gerufen wurde, nannte er mir zu meinem Erstaunen bereits vor (!) der Untersuchung eine andere Diagnose meiner Beschwerden. Er erklärte mir sehr wortreich, es gäbe an der Schädelbasis Nerven, die sich verzweigten. Da machte manchmal ein Nerv einen kleinen Bogen und dieser gebogene Nerv mache dieselben Beschwerden wie in meinem Gesicht. Man könne dies operieren, es gäbe Neurochirurgen, die diese Operation machten und wenn sie gelänge, wäre ich meine Beschwerden los. Aber, er wolle mir nicht verhehlen, dass diese Operation ein großes Risiko berge. Ärzte seien auch nur Menschen und Menschen machten Fehler. Es könne also nach der Operation schlimmer sein als je zuvor und er wolle mir um Himmelswillen weder zu- noch abraten. Ob ich diese Operation wagen wolle, müsste ich ganz allein entscheiden. Wie gesagt, er wolle mich da nicht beeinflussen. Entscheiden müsse ich das selbst.
Er gab mir dann eine Notiz für meinen Koblenzer Neurologen, Dr. Boeer mit, die er auf einem Rezeptformular niederschrieb.Urkundsbeweis/Augenscheinnahme: Notiz Dr. Prof. Grobe
Anmerkung: Als ich nach der Begutachtung meinem Koblenzer Neurologen, Dr. Boeer, die Notiz seines Nürnberger Kollegen zeigte, sagte dieser Arzt nur ein einziges Wort: „Blödsinn!“
(Eine spätere CT-Untersuchung beim Institut van Essen in Koblenz hat diese Diagnose einer „neurovaskulären Kompression des N. facialis“, im Gutachten von Prof. Grobe als mögliche Diagnose aufgeführt, denn auch widerlegt.)
Nach einer sehr kurzen neurologischen Untersuchung, bei der mir Prof. Grobe erklärte, dass er die von Dr. Binz praktizierte Untersuchung mit dem Nadelrädchen ablehne, musste der Professor zu einer Versammlung und verabschiedete sich. Seine Assistenten würden noch einige Untersuchungen bei mir vornehmen. Die anschließende Messung der Nervenleitgeschwindigkeit versuchte man mit Rotlicht zu manipulieren. Ich wehrte mich erfolgreich dagegen, stellte dann aber fest, dass am Fußende der Liege zwei Rotlichtlampen fest installiert waren! Nach Abschluss der Untersuchungen hatte ich bereits meinen Mantel angezogen, da stürzte ein junger Arzt in das Wartezimmer und sagte, der Professor habe aus der Versammlung angerufen und einige vorher vergessene Untersuchungen angeordnet.
Mir war aufgefallen, dass man gar keine der schmerzhaften Nervenpunkte untersucht hatte, weder am Kopf noch am Körper. Der Remmers, Dr. Boer und Dr. Binz hatten diese Punkte sorgfältig untersucht. Ich wies nun auf mehrere dieser schmerzenden Nervenpunkte hin, besonders auf den Punkt an der Außenseite der Mitte des Oberarms, den Nervus radialis.
Der junge Arzt aber sagte abwehrend:
„Das sind keine Nervenpunkte! Das sind verspannte Muskeln, da kommt es zu Muskelverklebungen. Andere Leute haben einen Tennisellbogen. Sie haben den Tennisellbogen am ganzen Körper.“
Wieder zu Hause, schilderte ich die Untersuchungen meiner Anwältin, die das alles kaum fassen konnte. Sie forderte mich auf, sofort ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen und legte dies dem Sozialgericht vor.
Auch das interessierte das Sozialgericht nicht.
Das Gericht negierte auch den Hinweis des Chefchemikers der Chemischen Fabrik BÜFA, dass ich jahrelang (unwissentlich) mit Trichorethylen gearbeitet hatte, weil die 48,6 t PER vor 1989 stets einige Prozentanteile Trichlorethylen und 1.1.1. Trichlorethan enthalten hatten. Auch die Bestätigung der Berufsgenossenschaft, dass das von mir „vielbenutzte Fleckenwasser Fleckfips“ aus Trichlorethylen bestand, konnte das Gericht nicht veranlassen, den Anträgen meiner Anwältin zu folgen: Sie hatte beantragt, dass meine Bauchspeicheldrüse und mein (Trichlorethylen)-Gesichtsschaden im Hinblick auf neue wissenschaftliche Studien, die ich dem SG vorgelegt hatte, von einem Gutachter untersucht werden sollten.
Das SG Koblenz sah keine Veranlassung, diese Beweisanträge ernst zu nehmen und ihnen stattzugeben. Das Ergebnis eines Gutachtens nach § 109 SGG lief ins Leere, weil der Gutachter, der Neurologe Dr. Schwarz, erstens nicht beachtete, dass es bei mir um eine mutmaßliche Berufserkrankung nach der Ziffer 1302 ging und nicht nach der Ziffer 1317, weil ich a) viel früher erkrankt war und wir b) fast nur halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe verwendet hatten. Zweitens glaubte er bei mir zusätzlich eine Multiple Chemikaliensensitivität zu erkennen – und stufte sie fälschlicherweise als Berufskrankheit ein. Doch MCS ist keine Berufskrankheit.
Die ebenfalls von ihm diagnostizierten Nervenschäden interessierten das Sozialgericht so wenig wie das gesamte Gutachten nach § 109 SGG. Entscheidend war allein, was die Herren Professoren Lehnert und Grobe von sich gegeben hatten.
Urteile auf Basis gefälschter Daten
Ich verlor 2001 den Prozess vor dem Sozialgericht Koblenz. In der Begründung des Urteils wurde die Emissionsmessung bei unserem Geschäftsnachfolger von 1990 als Beweis dafür angeführt, dass ich nicht gegenüber PER exponiert gewesen sei.
Um zu beweisen, dass diese Emissionsmessung von 1990 mich gar nicht betrifft, da ich bereits im Juni 1989 den Betrieb verkauft hatte, versuchte ich das Original dieser Messung von der Berufsgenossenschaft zu bekommen. Es entspann sich ein Schriftwechsel von sage und schreibe achtunddreißig (38) Seiten, bis die BG endlich bestätigte, dass diese Messung nur meinen Nachfolger betrifft.
Urkundsbeweis/Augenscheinnahme: Schreiben der TBBG vom 10.08.2001
In der Berufungsbegründung legte der VdK u. a. den Schriftwechsel mit der BG über diese mich nicht betreffende Emissionsmessung dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in Mainz vor. Doch das interessierte auch hier nicht – 2002 verlor ich die Berufung vor dem LSG. Wobei mich die zynische Bemerkung des Richters Keller schmerzte, er könne nicht an die (vom Gutachter Dr. Schwarz angegeben) Depressionen glauben!
Aufgrund meiner Gesichtsschädigung, verursacht durch Lösemittel, war ich jahrelang wegen Depressionen behandelt worden. In der Gerichtsakte befanden sich außerdem die Aussagen meines Hausarztes zu dieser Erkrankung!
Die Revision ließen Richter Keller und KollegInnen nicht zu.
Das BK-Verfahren im Falle meines Mannes
Während mein Verfahren schon lief, erging bei meinem Mann erst 1998 die BK-Verdachtsmeldung. Auch bei ihm hatten eine Reihe von Neurologen und anderen Ärzten eine Erkrankung nach der BK-Ziffer 1302, Intoxikation durch halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe, erkannt. Eine SPECT-Untersuchung zeigte bei ihm fortgeschrittene Schäden im Gehirn.
Diesmal ersparte sich die BG die Entsendung eines TAD-Beamten. Meinem Mann wurden drei Gutachter vorgeschlagen, darunter zwei Psychiater. Ich rief in den Praxen dieser zwei Psychiater an und erfuhr von den Sekretärinnen, dass ihre Chefs von Erkrankungen durch Lösungsmittel keine Ahnung haben. Einer der beiden Ärzte war gerade in Urlaub.
Mein Mann stellte sich daraufhin 1998 dem Neurologen Dr. Mattes in Bernkastel zur Begutachtung vor. Dessen Gutachten ließ keinen Zweifel daran, dass die Erkrankungen meines Mannes berufsbedingt seien. Er sah eine MdE von 20% – doch schlug er die Einholung eines weiteren arbeitsmedizinischen Gutachtens vor.
Die BG fragte telefonisch über den VdK an, ob mein Mann mit einer Begutachtung bei Prof. Konietzko einverstanden sei. Auch der VdK holte sich das Einverständnis bei meinem Mann telefonisch. Weder die BG noch der VdK haben ihn auf sein Widerspruchsrecht hingewiesen. Oder darauf, dass auch hier drei Gutachter hätten vorgeschlagen werden müssen – geschweige denn darauf, dass mein Mann aus sozialdatenschutzrechtlichen Gründen selbst hätte angeben können, welchem Gutachter er seine Gesundheitsdaten offenbaren wolle.
Der Gutachter Prof. Konietzko schickte vor der Begutachtung einen vierseitigen Gesundheitsfragebogen, den mein Mann ausfüllte. Unter anderem wurde nach Konsum von Kaffee, Tee und Zigaretten gefragt. Bei der Anamnese wurde dieser Fragebogen abgearbeitet. Ich fragte den Professor, warum denn die Frage nach Alkoholkonsum fehle? Er war sehr erstaunt, dass diese Frage nicht aufgeführt war und registrierte nicht, dass ich ihn damit ein klein wenig auf den Arm genommen hatte.
Wir sprachen dann ausführlich über unsere Alkoholunverträglichkeit, die wir bereits in den 60er Jahren bemerkt hatten.
Das Gutachten Prof. Konietzko von 1999 enthält eine Fülle von Fälschungen. Keine der angegebenen Gesundheitsstörungen aus dem Fragebogen sind im Gutachten enthalten (Kopie des ausgefüllten Fragebogens liegt vor). Außerdem fehlen die 25 Diagnosen, die der behandelnde Arzt meines Mannes in den 70er Jahren gestellt hatte, völlig. Die von uns geschilderten „pränarkotischen Zustände“ durch die Lösungsmitteleinwirkungen wurden vom Professor so formuliert, als habe bei uns ein Alkoholproblem bestanden.
Besonders eklatant: Die Emissionsmessung unseres Nachfolgers aus dem Jahr 1990 wurde vom Professor einfach in das Jahr 1989 zurückdatiert, damit unserem Betrieb und also auch meinem Mann zugeschrieben! Ferner tat Prof. Konietzko kund, dass berufsbedingte Erkrankungen infolge Lösemittelexposition in zehn Monaten bis längstens drei Jahren völlig ausheilen. Ein Fortbestehen der Erkrankung nach Expositionsende schließe Lösungsmittel als Ursache aus.
Wie aus der Akte meines Mannes hervorgeht, wurde diese Behauptung des Prof. Konietzko im Laufe der weiteren Auseinandersetzung durch gutachterliche Wiederholung neunmal aktenkundig. Auf diese Weise haben die BG und ihre Gutachter immer wieder Spätschäden geleugnet.
Ein nach § 109 SGG Gutachten von Prof. Huber in Heidelberg sah als erwiesen an, dass die Erkrankungen meines Mannes durch PER verursacht seien. Die eingetretenen Gesundheitsschäden bewertete er mit einer MdE von 50%. Doch das Sozialgericht Koblenz wollte sich diesem Gutachten nicht anschließen. Es stützte sich ausschließlich auf das Gutachten Konietzko und wiederholte dessen Behauptung, berufsbedingte Lösemittelschäden bildeten sich nach Expositionsende zurück.
Die Klage wurde 2002 abgewiesen. In der Klagebegründung des SG Koblenz wurde die von Prof. Konietzko in das Jahr 1989 zurückdatierte und somit gefälschte Emissionsmessung als Beweis für die mangelnde Exposition gewertet.
Mein Mann ging in Berufung vor das LSG Rheinland- Pfalz in Mainz, jetzt mit Hilfe eines Anwalts aus Köln, Rechtsanwalt Thomas Grüner.
Und hier, meine lieben abeKra –Freunde, möchte ich Sie noch mal darauf hinweisen: Gehen Sie bitte nur mit einem guten Anwalt in die Auseinandersetzung mit BG und Sozialgerichten! Nur die Sach- und Rechtskunde eines bemühten Anwalts kann Ihnen zu Ihrem Recht verhelfen.
Es gelang Rechtsanwalt Grüner einen vom LSG vorgeschlagenen Gutachter abzulehnen, den berüchtigten Dr. Prager.
Während der Verhandlung vor dem LSG am 10.01.2003, sagte die Vorsitzende, Frau Ebsen mit bedauernder Stimme zu meinem Mann:
„Schade, Herr Kroth, dass Sie den Dr. Prager als Gutachter ablehnen – wir arbeiten sehr gerne mit Dr. Prager zusammen. Aber schließlich muss ja ein Vertrauensverhältnis zwischen Gutachter und Patient bestehen.“
Im Laufe der Verhandlung beantragte RA Grüner erneut, das Gutachten Konietzko zu löschen, da es gegen die Datenschutzbestimmungen erhoben wurde. Darauf wandte sich die Vorsitzende an den Vertreter der BG, Herrn Tichi, und wies ihn sanft darauf hin, dass die BG Herrn Kroth nur einen Gutachter vorgeschlagen habe: Prof. Konietzko. Sie sagte wörtlich:
„Das war nicht rechtens.“ Und wies weiter darauf hin, dass in Zukunft drei Gutachter vorzuschlagen seien.
Dann wandte sie sich an RA Grüner und sagte mit scharfer Stimme:
„Das Gutachten von Prof. Konietzko wird nicht gelöscht!“
Worauf Rechtsanwalt Grüner erregt aufsprang und rief:
„Sie wollen doch nicht sagen, dass Sie sich gegen den Datenschutz vergehen? Das ist Rechtsbruch!“
Daraufhin insistierte die Vorsitzende und verlangte, dass RA Grüner sich ihrer Rechtsauffassung anschließe. Da er dazu nicht bereit war, sagte sie: „Herr Rechtsanwalt Grüner, ich kann die Verhandlung auch sofort schließen. Das aber wird für Ihren Mandanten nachteilige Folgen haben!“
Rechtsanwalt Grüner darauf:
„Ich beantrage, die Verhandlung fortzuführen.“
Es wurde dann bestimmt, dass mein Mann sich bei einem Arbeitsmediziner, Dr. Rheingans, zur Begutachtung in Düsseldorf vorzustellen habe.
RA Grüner stimmte zögernd zu, beantragte aber, dass ich als Ehefrau bei der Begutachtung anwesend sein solle, da die Erinnerung meines Mannes durch die Erkrankung eingeschränkt sei. Die Vorsitzende meinte, dagegen sei nichts einzuwenden, die meisten Gutachter ließen eine Begleitperson zu.
Darauf sagte ich sehr bestimmt: „Das habe ich aber anders erlebt!“
Es wurde beschlossen, dass meine Anwesenheit bei der Begutachtung vom LSG gebilligt und dies in die Beweisfragen an den Gutachter Dr. Rheingans aufgenommen werden sollte. Eine Woche später kamen die Beweisfragen. Natürlich stand davon nichts darin – das LSG musste die Beweisfragen neu formulieren.
Sehr viel später sah ich das Protokoll des Gerichts zu dieser Verhandlung und staunte: Es stand nichts von der Auseinandersetzung Rechtsanwalt Grüner –Richterin Ebsen darin, kein Wort von „Rechtsbruch.“
Inzwischen hatte MONITOR unsere Gutachten von mehreren neutralen Gutachtern überprüfen lassen. Prof. Frentzel-Beyme, hochkarätiger Epidemiologe an der Uni Bremen, fertigte eine 15 Seiten lange Bewertung der Gutachten an. Kurz nach der gutachterlichen Untersuchung in Düsseldorf wurde unser Fall in einer MONITOR-Sendung der Öffentlichkeit vorgestellt. Es folgten weitere Sendungen in BRISANT und im OFFENEN KANAL Koblenz. –
MONITOR hatte auch die Textil-und Bekleidungs-BG in Augsburg aufgesucht und befragen wollen – aber niemand der Herren wollte vor die Kamera. Die an die BG gestellten zwölf Fragen wurden nach einigen Wochen schriftlich beantwortet – auf den ersten Blick recht geschickt. Offensichtlich hatten die Juristen der BG darüber nachgebrütet. Doch Pech für sie, die acht ihrer Antworten, die uns betrafen (vier Fragen betrafen Gutachter) waren sämtlich falsch. Ich konnte sie anhand der einschlägigen Dokumente in unseren BG- und Prozessakten alle widerlegen!
Wir erhielten ein umwerfendes Echo auf die Fernsehsendungen. Es schien, als nehme die halbe Nation an unserem Schicksal teil und spreche uns Mut zu.
Das Gutachten Dr. Rheingans fiel positiv aus, so dass bei meinem Mann nun drei positive Gutachten vorlagen. Besonders anzumerken ist, dass Dr. Rheingans Zivilcourage bewies: Er hat die umstrittene Behauptung des Prof. Konietzko – man bedenke: Konietzko war damals immerhin noch Direktor eines Instituts für Arbeitsmedizin, Mitglied der Sektion „Berufskrankheiten“ im BMA und Verfasser des „ärztlichen Merkblatts“ des BMA zur BK 1317 und galt, obgleich kein Neurologe, als eine arbeitsmedizinische Autorität auf dem Gebiet der Gesundheitsschäden durch organische Lösemittel – im Gutachten widerlegt, in dem er Äußerungen des Professors aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen zitierte, in denen dieser das genaue Gegenteil dessen sagte, was er im Gutachten meines Mannes geschrieben hatte. Beide seiner Aussagen datierten aus ein und demselben Jahr 1999.
Nun musste das LSG in Mainz am 25. November 2003 einem Vergleich zustimmen. Auch wenn es nur ein Vergleich war – für meinen Mann bedeutete es ein gutes Ende nach Jahren voller Aufregungen über Fälschungen und andere Niederträchtigkeiten.
Rechtsanwalt Grüner hatte zwischenzeitlich den Datenschutzbeauftragten des Bundes informiert – die Berufsgenossenschaft musste das Gutachten Konietzko löschen.
Ich selbst bin sicher, es mussten viele Dinge zusammenkommen, um dieses gute Ende zu erreichen. All die vielen Informationen und Unterstützungen von abeKra – die Bemühungen unseres Anwalts Thomas Grüner und nicht zuletzt der Gang in die Öffentlichkeit haben im Zusammenspiel diesen Vergleich ermöglicht.
Nachtrag:
Nach Abschluss meines Verfahrens habe ich im April 2003 mehrmals in meine Sozialgerichtsakte Einsicht genommen und festgestellt, dass wesentliche Teile darin fehlten. So vermisste ich:
1. meinen Widerspruch gegen das Gutachten von Prof. Dr. Lehnert u. Prof. Grobe mit dem Gedächtnisprotokoll der teilweise manipulierten Untersuchungen,
2. meinen Nachtrag zu diesem Widerspruch und die Beweise, dass die Berufsgenossenschaft die TAD-Berichte in meinem BK-Feststellungs-Verfahren gefälscht hat.
Zu diesen vom VdK eingelieferten Schriftsätzen von insgesamt einhundert Seiten sind lediglich die Anschreiben des VdK vom 08.06.1999 und vom 08.12.1999 vorhanden. Meine Anfrage zu diesem unglaublichen Vorgang wurde von der Richterin Weidenfeller am 30.April 2003 völlig unzureichend beantwortet.
Etwa ein Jahr später stellte ich fest, dass auch in der Sozialgerichtsakte meines Mannes drei Seiten fehlten:
Nämlich der Schriftsatz vom 15.August 02 des RA Grüner an das LSG Mainz, in dem er die mangelnde Amtsermittlung des Sozialgericht Koblenz und des Landessozialgerichts in Mainz rügt.Nach einigen Versuchen der Abwiegelung teilte man mir am 01.04.2004 mit, dass meine Schriftsätze, die den Anschreiben meiner Bevollmächtigten des VDK vom 08.06.1999 und vom 08.12.1999 beigefügt waren,
“versehentlich nicht in der Gerichtsakte abgeheftet wurden, sondern – ohne Bitte um Rückgabe – an die Beklagte (BG) übersandt wurden.“Auch im Berufungsverfahren meines Mannes war der Schriftsatz des Rechtsanwalt Grüner vom 15.08.2002 – lt. Aussage des Sozialgericht Koblenz – nicht zur Gerichtsakte genommen, sondern im Original an die Beklagte übersandt worden. Der Präsident des Sozialgerichts, Herr Binz, bedauerte dies und bat um Entschuldigung. Die fehlenden Schriftsätze wurden nun aus den Verwaltungsakten (der BG) kopiert und in den entsprechenden Sozialgerichtsakten nachgeheftet mit folgendem Text:
„Die Anlagen wurden nicht an der Stelle eingefügt, wo sie eigentlich hätten abgeheftet werden müssen, um deutlich zu machen, dass sich diese Unterlagen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidungen nicht in der Gerichtsakte befanden.“
Nun kenne ich meine Sozialgerichtsakte besser als jeder andere. Auf den jeweiligen Seiten 231 bis 234 ist der Beweis vorhanden, dass die Übersendung der fehlenden 100 Seiten meiner Schriftsätze an die BG nicht „versehentlich“ stattgefunden haben kann – und schon gar nicht im Juni und Dezember 1999! Denn – nach einer Begutachtung in Bredstedt wurden mir am 10.07.2000 von dort irrtümlich 330 Seiten Beiakten (nicht fortlaufend nummeriert wie bei SG-Akten üblich) aus meiner Sozialgerichtsakte zugeschickt. Unter diesen, von mir minutiös aufgeführten 330 Seiten waren auch meine Original-Schriftsätze, mit Tinte unterzeichnet, die ich einen Tag später, am 11.07.2000 persönlich auf dem Sozialgericht ablieferte.
Wie also sollte es möglich gewesen sein, dass man diese Original-Schriftsätze, deren Entgegennahme das Sozialgericht am 11.07.2000 schriftlich überprüfte und bestätigte (Seite 231, Rückseite des Blattes 233 und 234) bereits im Juni 1999 und Dez. 1999 an die BG übersandt hatte???
Noch ominöser wird die Sache durch die Mitteilung der BG vom 06.07.2004, die bestätigt, dass meine Original-Schriftsätze am 15. Juni 1999 und 14.12.1999 bei der BG eingegangen sind. Die Anschreiben des Sozialgericht Koblenz an die BG zu diesen Vorgängen tragen das Datum vom 9.6.99 und 9.12.99. Allerdings gibt es zu dieser angeblichen Versendung in meiner SG-Akte keine Kopien der Anschreiben!
Als ich am 09.06.2004 noch mal einen Blick in meine SG-Akte warf, stellte ich fest, dass die Anschreiben des VDK vom 08.06.1999 und 08.12.1999 (zu den eingelieferten und dann fehlenden 100 Seiten) nicht mehr im Original auf den Seiten 170 und 185 abgeheftet sind (Der VDK hat hellblaues Briefpapier), sondern als Kopien.
Fazit:
Mit Fug und Recht darf man behaupten, dass bei meinem Mann und mir nicht nur die BG und deren Gutachter unkorrekt gehandelt haben, sondern dass sowohl das Sozialgericht Koblenz als auch das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz unkorrekt – um nicht zu sagen rechtswidrig – mit unseren Klägerakten umgegangen sind.
Hier drängt sich der Gedanke auf, dass man sich brisanter Schriftstücke auf diese Weise entledigt und sie dann im Falle von Verfahrensauswertungen nicht berücksichtigen muss, weil sie sich ja nicht mehr in der Akte befinden – sondern dass damit das Grundrecht auf rechtliches Gehör, Sozialdatenschutzbestimmungen und die gerichtliche Pflicht verletzt wurden, Gerichtsakten in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise korrekt zu führen.
Dass Aktenteile in Akten der Sozialgerichtsbarkeit nach Abschluss des Verfahrens fehlen bzw. daraus entwendet wurden, fällt Versicherten in der Regel nicht auf – denn wer wirft schon zu einem solchen Zeitpunkt nochmal einen Blick in seine Sozialgerichtsakten?
Inge Kroth