Das Gutachter(un)wesen

Hintergrundinfos

Zunächst sei festgehalten: Es gibt selbstverständlich Sachverständige (Gutachter), die neutrale und korrekte Gutachten erstellen. Nur – wie soll ein Betroffener diese finden?

Denn Menschen, die am Arbeitsplatz erkrankt sind, müssen sich zwingend Gutachtern der Berufsgenossenschaften vorstellen, egal wie viele Ärzte und Kliniken bereits den dringenden Verdacht einer Berufskrankheit geäußert haben. Doch diese Begutachtung, der sich der Erkrankte zu unterziehen hat, ist die einzige Chance, um von der Gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) überhaupt anerkannt zu werden.

Die Berufsgenossenschaften führen Listen mit ihnen genehmen Gutachtern. Auch die Sozialgerichte haben solche „bewährten Gutachter“ auf ihren Listen stehen.

Die Erfahrung zeigt, dass sich die Ergebnisse der Gutachten dieser Sachverständigen, die bei Versicherungen und Gerichten gelistet sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit voraussagen lassen.

So manch einer, der im Beruf erkrankte, hat die Erfahrung machen müssen, dass die ihm vorgeschlagenen oder – vom Sozialgericht – aufgezwungenen Gutachter alles andere als neutral sind.

Wie kommt es nun dazu, dass viele dieser Sachverständigen die bisherigen Diagnosen der Ärzte, die den zu Begutachtenden betreffen, negieren oder mit herbei gesuchten Argumenten entwerten, oft genug auch Fakten fälschen, um dann letztendlich festzustellen, dass bei dem Erkrankten höchstwahrscheinlich keine Berufskrankheit vorliegt, und die somit dem Auftraggeber die Handhabe geben, den Antrag des Erkrankten auf Anerkennung einer Berufskrankheit abzulehnen?

Zuerst einmal sind es die Berufsgenossenschaften selbst, die die Amtsermittlung durchführen und natürlich nicht daran interessiert sind, zu zahlen. Wobei sich jeder unbefangene Leser fragt, warum die Amtsermittlung nicht von einer neutralen Stelle durchgeführt wird? Die gesetzlich vorgeschriebene Amtsermittlung wird in der Regel mangelhaft durchgeführt und die TAD-Berichte der technischen Außendienstbeamten werden absichtlich und gesetzwidrig so abgefasst, dass der beauftragte Arbeitsmediziner kein Risiko am Arbeitsplatz des Erkrankten erkennen kann und so bereits die Grundlage für ein ablehnendes Gutachten erhält.

Weiter wurde gesagt, dass es absolut korrekt gutachtende Sachverständige gibt. Woran liegt es nun, dass ein großer Teil der Arbeitsmediziner sog. Gefälligkeitsgutachten erstellt, die nur den Versicherungsträgern nutzen?

Nun – Arbeitsmediziner sind oft an Instituten der Universitäten angestellt. Diese Institute werden vom Staat sehr schlecht mit Geldern versorgt, so dass diese Einrichtungen alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, sog. Drittgelder zu erhalten. Es werden daher gerne Gutachten übernommen, welche von der Industrie, von Versicherungen und eben auch von den Berufsgenossenschaften erteilt werden.

Doch die potenziellen Auftraggeber erteilen sogenannte „Anschlussgutachten“ nur den Sachverständigen, die „brauchbare Gutachten“ geliefert haben. Und so beginnt der circulus vitiosus.

Es soll Gutachter geben, die jährlich so viele Gutachten erstellen, dass sie praktisch an jedem Tag des Jahres ein oder zwei Gutachten fabrizieren. Dass dies nicht möglich ist, muss jedem klar sein.

Ein Gutachter könnte nicht einmal an einem Tag die meist umfangreiche Akte des Erkrankten durchlesen (die TBBG-Akte von Inge Kroth enthielt Ende 2005 bereits 1800 Seiten).

Solche – stets ablehnenden – Gutachten werden mit Textbausteinen erstellt. Außerdem werden die schriftlichen Ausführungen häufig Studenten oder Assistenten übertragen, die den Erkrankten nicht kennen – oder wenn doch – sich bei ihrem Chef nicht unbeliebt machen wollen. Die eigene Karriere wird ihnen wahrscheinlich wichtiger sein, als das Schicksal eines Kranken.

Möglicherweise wird auch der Gedanke, dass der Erkrankte nach einem ablehnenden Gutachten immerhin noch ein Gutachten nach § 109 bei Gericht beantragen kann, das eigene Gewissen entlasten.

Die Tatsache, dass Geschädigte durch die berufliche Erkrankung auch finanziell ruiniert und meist nicht in der Lage sind, ein solches Gutachten auf eigene Kosten erstellen zu lassen, wird von solchen Sachverständigen wohlweislich unter den Tisch gekehrt.

Seit geraumer Zeit müssen die Berufsgenossenschaften dem Erkrankten drei geeignete Gutachter zur Auswahl vorschlagen. Lange Zeit verschwieg die Berufsgenossenschaft, dass der Erkrankte selbst Gutachter benennen darf und auch ein Widerspruchsrecht hat.

Ja – schlimmer noch – abeKra konnte 1988 eine Liste mit 162 Gutachtern veröffentlichen, die in einem heimlichen Vertragsverhältnis zu den Berufsgenossenschaften standen.

Diese Liste wurde abeKra zugespielt und stammte aus einem Buch der Berufsgenossenschaften (Quelle: HVBG, Handbuch für die Bearbeitung von Berufskrankheiten, St. Augustin 1988, II Besonderer Teil und Anhang, Anhang D, Beratende Ärzte für Berufskrankheiten, Stand: 5. März 1987).

Das “Handbuch“ ist nicht öffentlich und daher über den Buchhandel nicht zu beziehen!

Diese Veröffentlichung durch abeKra, den Verband arbeits- und beruflich Erkrankter, sorgte für Empörung, denn viele Erkrankte sahen nun, dass ihr angeblich neutraler Gutachter heimlich auf der Gehaltsliste der Berufsgenossenschaften stand und damit nicht mehr neutral, sondern der BG zuzurechnen war. Darunter war auch Prof. Dr. Dr. Lehnert, von vielen Berufskranken „Ablehnert“ genannt. So wurden unzählige Erkrankte durch Gefälligkeitsgutachten diskriminiert und von den Berufsgenossenschaften abgelehnt. Auch Prof. Dr. Triebig geriet in die Schlagzeilen. 26 Versicherte hatten den Sachverständigen wegen Erstellung von Falschgutachten angezeigt.

Der Staatsanwalt ermittelte seit Anfang 1993 gegen den Arbeitsmediziner wegen des Verdachts „als Privatgutachter wissentlich und willentlich unrichtige Gutachten zugunsten des gesetzlichen Unfallversicherungsträgers und zu Lasten der Versicherten erstellt zu haben“.

Im April 1998 teilte die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Ermittlungsverfahrens mit. Es hatte sechs Jahre gedauert, bis die Staatsanwaltschaft zu der Überzeugung kam, die Beweise reichten nicht aus, um Anklage gegen Prof. Triebig erheben zu können.

Sechs Jahre!

Der Staatsanwalt ließ verlauten: „Ein versuchter oder vollendeter Betrug“ sei nicht nachzuweisen.

Aha!

Nun sind Staatsanwälte weisungsgebunden und können daher in ihren Entscheidungen durch Politiker beeinflusst werden. Womit sich die Frage erhebt, wem nützte diese Verfahrenseinstellung? Außer Prof. Triebig, selbstverständlich?

Den frustrierten 26 Versicherten blieb – ebenso wie den übrigen von der BG Abgelehnten – nur der lange Weg der Klage offen.

Hat man aber erst einmal Klage beim Sozialgericht erhoben, so bestimmt das Sozialgericht, welchem Gutachter man sich vorzustellen hat.

Wie Frau Kroth bei Akteneinsicht nach Abschluss ihrer Verfahren feststellte, schrieb die Richterin des Sozialgerichts Koblenz, Frau Weidenfäller, am 02.10.98 an den Gutachter Prof. Dr. Lehnert „ich bedanke mich herzlich für Ihre Bereitschaft, die Begutachtung von Frau Kroth zu übernehmen ….“

Urkundsbeweis/Augenscheinnahme:
Schreiben der Richterin Weidenfäller vom 02.10.98

Wieso muss eine Richterin sich herzlich für eine Begutachtung bedanken?

Solch „bewährte“ Sachverständige wie Prof. Lehnert werden äußerst gut bezahlt! Es gibt Eingeweihte, die sprechen von jährlichen Nebeneinnahmen für Gutachten von einer Million Euro und mehr je Sachverständiger. Wieso also bedankt sich eine Richterin „herzlich“ für die Begutachtung?

Zeigt das nicht eine unzulässige Übereinstimmung von Richterin und Gutachter, und könnte dies nicht ein Hinweis auf die Befangenheit der Richterin sein?

Es ist äußerst schwierig, einen vom Gericht bestimmten Sachverständigen abzulehnen, selbst wenn man weiß, dass dieser bereits mehrfach Gefälligkeitsgutachten verfasst hat.

Trotzdem geschieht manchmal ein kleines Wunder: Rechtsanwalt Grüner (leider inzwischen verstorben) gelang es am 10.01.2003 vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz einen Gutachter für seinen Mandanten Theo Kroth abzulehnen. Er konnte dem Gericht glaubhaft machen, dass sein Mandant den Inhalt der Internetseiten über den – für seine ständigen Ablehnungen bekannten und berüchtigten – Gutachter Dr. Prager kannte und dass ihm nicht zuzumuten sei, diesem Arzt seine Daten offen zu legen.

Ein weiteres kleines Wunder geschah, der vom Gericht danach bestimmte Sachverständige war tatsächlich ein Gutachter!

Zwar hatte Theo Kroth bereits zwei positive Gutachten, aber das Sozialgericht Koblenz hatte sich bisher ausschließlich auf das Gutachten des Arbeitsmediziners Prof. Konietzko gestützt, der eine Berufskrankheit bei dem 81-jährigen Chemischreiniger Kroth für unwahrscheinlich hielt.

Das dritte positive Gutachten gab nun den Ausschlag: Das LSG Rheinland-Pfalz signalisierte, dass es eine Berufskrankheit anerkennen wolle – und die TBBG stimmte nach zähen Verhandlungen über die Höhe der MdE einem Vergleich zu.

Aber nicht alle Erkrankten haben so viel Glück – es gibt ein geflügeltes Wort von den Schlechtachtern.

Die Veröffentlichungen über die Problematik medizinischer Gutachten, sog. Gefälligkeitsgutachten, sind Legion. Hier eine kleine Auswahl aus der Zeit, als das Ehepaar Kroth seine Auseinandersetzung mit TBBG und Gutachtern begann:

Antje Bultmann et al, 1994: Käufliche Wissenschaft

Rechtsanwalt Dohmeier, 1994: Die Betrugsgenossenschaften

Zittlau, 1994: Eine Elite macht Kasse

Hilgers et al, 1994: Der Patient und sein Recht

Krill, 1995: Im Dienst der Auftraggeber

Anhörung der Grünen im Deutschen Bundestag 22.1.1996 zum Thema: Gutachter(un)wesen

Jurtschitsch, 1998: Arbeitsmedizin in Sachen Prof. Gerhard Lehnert

Rechtsanwalt Dr. Hugo Lanz 1999: Zweiklassenrecht durch Gutachterkauf

Am 07.01.1998 brachte die ARD eine Fernsehsendung mit dem Titel: Gesucht wird…..Die Moral der Gutachter

Kommentar:
Erstaunlich deshalb und für einen Betroffenen schlicht nicht zu begreifen, dass trotz der in der Öffentlichkeit allgemein bekannten Problematik der sog. „Gefälligkeitsgutachten“, die Gutachten von bereits aufgefallenen Sachverständigen durch die Sozialgerichte nicht stärker hinterfragt werden. Schließlich sind Richter von Amts wegen verpflichtet Amtsermittlung zu betreiben und Fakten, die für den Erkrankten sprechen, entsprechend zu bewerten!

Aber nach wie vor werden immer dieselben Sachverständigen von den Sozialgerichten mit Aufträgen überhäuft, deren Ergebnisse vorhersehbar sind und die in der Regel den Antrag des Klägers abschmettern, so dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass eine Anerkennung von Berufskranken politisch unerwünscht ist.

Es sind Fälle bekannt geworden, wo Gerichte selbst Gutachter, die sich mit einem falschen Professorentitel schmückten oder bereits wegen Erstellung von Falschgutachten rechtskräftig verurteilt waren, weiterhin beauftragt haben. So dass man hier von einer kartellartigen Übereinkunft zwischen Industrie, Gutachtern, Berufsgenossenschaften und Sozialgerichten ausgehen muss.