Wer ist Christel Brem?

Frau Brem eröffnete im Jahr 1979 im Münchener Vorort Neubiberg eine schicke Boutique für Trachtenmoden. Das Geschäft ging von Beginn an gut und zog eine Reihe prominenter Kunden an, von der Strauß-Tochter Monika Hohlmeier bis zum Schauspieler Michael Degen.

Die hübsche Besitzerin der Trachtenboutique führte die neuen Modelle selbst vor. Jede Woche trug sie vom Morgen bis zum Abend zwei bis drei neue Dirndl, die dadurch zu einem Verkaufsschlager wurden.

Doch je besser das Geschäft lief, umso schlechter ging es der Besitzerin. Sie klagte über Sehstörungen und Schwindel bis hin zur Ohnmacht, Übelkeit und Brechreiz und litt an Eiterpickeln, Ausschlag und Muskelschwund. Ihre Pflanzen im Laden verwelkten trotz bester Pflege. Jeden Abend musste Frau Brem tote Insekten zusammenkehren. Was sie nicht ahnte: Die laut Aussage der Fabrikanten aus „reinen Naturmaterialien“ hergestellten Dirndl und Strickwesten, Trachtenjanker und Lodenmäntel dünsteten giftige Chemikalien aus. Diese wurden den Stoffen zugesetzt um sie knitterfrei, filzfrei, fleckenresistent und kuschelweich zu machen. Diese Chemikalien hatten aber nicht nur Fliegen und Pflanzen vergiftet, sondern auch die Besitzerin so krank gemacht, so dass sie 1989 völlig entkräftet ihren Trachtenladen aufgeben musste und auf Dauer arbeitsunfähig wurde.

Nun war Frau Christel Brem zwar krank, aber ihre Wissbegierde war geweckt. Sie wollte ihrer Erkrankung auf den Grund gehen. Toxikologische Tests zeigten, dass sich ihr Körper mit den verschiedensten Schadstoffen vollgesogen hatte. Man fand in ihrem Blut eine nie zuvor festgestellte Menge an Lindan im Blutserum: 486 Mikrogramm – sowie bedenkliche Mengen eines in Deutschland längst verbotenen und hochgiftigen Stoffes: Pentachlorphenol (PCP).

Die Berufsgenossenschaft aber, der Frau Brems Erkrankung als Berufskrankheit gemeldet wurde, bezeichnete die hohen Werte als Laborfehler. Auch vor Gericht wurden ihre Beschwerden nicht als berufsbedingt anerkannt. Heute weiß Frau Brem, dass man keinen Präzedenzfall zulassen wollte. Das musste unbedingt verhindert werden.

Trotz dieser Rückschläge: Christel Brem gab nicht auf. Sie forschte weiter. Obwohl sie selbst nur einen kleinen Teil der bei Textilien verwendeten Gifte am eigenen Leib hatte erfahren müssen, sie wurde doch unheilbar krank. Nun erfuhr sie Unglaubliches:

Webereien, Färbereien und Textilveredler hantieren mit rund 8000 verschiedenen Färbemitteln und ungefähr 6000 anderen chemischen Substanzen: Eine Tonne Textilien – eine halbe Tonne Chemie. Und das alles ohne behördliche Überwachung. Besonders aus dem Ausland wie Honkong und Korea, Thailand oder Vietnam kommen viele mit Azo-Farben gefärbte Textilien, die Hauterkrankungen und asthmaähnliche Allergien sowie Blasenkrebs auslösen können. Man nimmt an, dass die verwendeten Chemikalien sich gegenseitig potenzieren, dass sie eine synergistische Wirkung haben. Dazu kommt, dass in diesen Niedriglohnländern andere Vorschriften und Umweltstandards gelten.

Mittlerweile hatte Frau Brem ihre Nachforschungen erweitert und zu ihrer Lebensaufgabe gemacht. Sie wurde zur Wissenschaftlerin in Sachen „Gifte in Textilien“. Denn nicht nur sie selbst ist krank geworden, diese Gifte werden auch von anderen Menschen aufgenommen, vor allem Kinder werden gesundheitlich geschädigt. Christel Brem suchte nach Tätern, lieferte Beweise und hat Veränderungen bewirkt. Chemische Substanzen wie Lindan, Perchorethylen, Tributylzinn und Phosphorsäuerester und viele, viele andere Chemikalien kennt sie nicht nur dem Namen nach, sondern weiß deren Auswirkungen im täglichen Leben verständlich in ihren zahlreichen Vorträgen zu beschreiben.

Christel Brem ist eine weithin anerkannte Expertin geworden. 2003 wurde ihr der 1. Umweltpreis „Laien schaffen Wissen“ verliehen.

Lesen Sie hier die Laudatio von Heiko Schultz

Anlässlich der Verleihung des 1. Umweltpreises des Deutschen Umweltinstituts Hamburg

„Laien schaffen Wissen“

am 2. Juli 2003 in Berlin an Frau Christel Brem

„In ihrer Arbeit unermüdlich und engagiert, in ihrer Argumentation nachdrücklich und im Erreichen der gesteckten Ziele konsequent und erfolgreich: Diese Persönlichkeitsbeschreibung der heutigen Preisträgerin Christel Brem, für die so manche/r Politiker/in überaus dankbar sein könnte, trifft auf eine Frau zu, die sich ursprünglich aus eigener Betroffenheit mit den Folgen des Einsatzes giftiger Chemikalien in Textilien befassen musste, den Kampf hiergegen aber längst zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatte – auch und besonders im Interesse der Allgemeinheit und vieler davon gesundheitlich Betroffener.

Viele ihrer Ziele sind auch für Frau Brem auf ihrem Weg erst erkennbar geworden, als sie diesen schon eingeschlagen hatte, unbeirrbar und mutig. Sie hat sich dieser Ziele angenommen und ist dabei zur Wissenschaftlerin, zur Kriminalistin, zur Journalistin und zur Politikerin geworden.

„Laien schaffen Wissen“ – dieses Motto des heute erstmals verliehenen Umweltpreises des Hamburger Umweltinstituts trifft auf kaum jemanden besser zu als auf Frau Christel Brem. Auf dem Weg, den sie vor ca. 20 Jahren eingeschlagen hat, hat sie Wissen geschaffen:

Sie hat aufgedeckt, sie hat überzeugt und sie hat Veränderungen bewirkt. Zu Gute kam ihr dabei, dass sie eine – im besten Sinne – neugierige Frau ist und über einen ausgeprägtem kriminalistischen Spürsinn verfügt.

Diese Eigenschaften – verbunden mit einem exzellenten Gedächtnis und der Gabe eines klaren und logischen Denkens – haben dazu geführt, dass sie der Chemischen Industrie anhand deren eigener Veröffentlichungen nachweisen konnte, welche zum Teil hochgiftigen Chemikalien von E 605 bis zum Rattengift, von verbotenen Unkrautvernichtungsmitteln bis zu Kälbermasthormonen bei der Textilbe- und – verarbeitung Verwendung finden.

Angeboten wurden diese Chemikalien zur besseren Schiebefertigkeit beim Nähen, als optische Aufheller, zur Knitterarmut und dergleichen mehr. Hartnäckig hat sich Frau Christel Brem auch bei der Suche nach Tätern, Mittätern und Beweisen einer weit über den Einzelfall hinausgehenden Schadstoffbelastung durch Textilien gezeigt.

Manche Berufsgenossenschaften und Gerichte erwiesen sich als wahre Fundgruben bis dato ungeahnter Falschgutachten, Vertuschungspraktiken und geheim gehaltener Dienstverhältnisse zwischen Gutachtern und Berufsgenossenschaften. Falsche und zum Teil einschlägig vorbestrafte Gutachter traten ungeniert und ungeprüft als teuer beschäftigte Gutachter bei bayerischen Gerichten auf, bis ihnen durch die Recherchen von Frau Christel Brem das Handwerk gelegt werden konnte.

Frau Chistel Brem ist eine wissensdurstige Frau. Sie will wissen, was sich hinter den wissenschaftlichen Studien und Behauptungen verbirgt, welche chemischen Substanzen, welche Auswirkungen davon im täglichen Leben spürbar werden können und ist dadurch selbst zu einer Wissenschaftlerin geworden.

Eine Wissenschaftlerin, die sich mit chemischen Substanzen wie Lindan, Tributylzin, Glyoxal, Phosphorsäureester, mit Stilbenen und Triazenen oder Cumarin nicht nur auskennt, sondern deren Auswirkungen im täglichen Leben auch lebensnah und verständlich beschreiben kann, bestens nachgewiesen in ihrer Aufklärungsschrift „Textilien – Gifte auf unserer Haut“ in deren Vorwort Professor O. Wassermann dies im April 2001 wie folgt würdigt: Christel Brem weiß wovon sie spricht und schreibt, denn sie ist selbst betroffen“.

Womit die Verursacher und ihre Helfershelfer in den weißen – aber nur scheinbar sauberen – Kitteln allerdings nicht gerechnet haben, ist die schier unerschöpfliche Energie, die Christel Brem auf ihrem langen Leidensweg frei setzte und sich umfangreiches Fachwissen erarbeitete, um sich – wie David gegen Goliath – ihren zahlreichen, ihre Macht missbrauchenden Feinden zu stellen.

Doch was nützt das beste Wissen, wenn es sich auf den eigenen Kopf oder einen kleinen Kreis fachlich versierter Personen und Fachzeitschriften beschränkt oder in Hochschulbibliotheken liegen bleibt. Dies war nicht der Weg, den Christel Brem für erfolgversprechend gehalten hat. Sie hat bei der Öffentlichmachung der Textil – und Gutachterskandale alle ihre journalistischen Begabungen genutzt.

In Vorträgen und bei Expertenanhörungen im Deutschen Bundestag, im Bayerischen Landtag, beim BUND, in Akademien und Bildungswerken, in über 40 Fernsehsendungen im In- und Ausland, in Hörfunksendungen und in renommierten Publikationen wie Spiegel, Stern und Focus haben ihre fundierten Darlegungen die Menschen überzeugt. Viele der Journalisten/innen und Interviewer/innen hat dies zu eigenen erfolgreichen Recherchen angeregt.

„Laien schaffen Wissen“ – manchmal sogar bei Politiker/innen – dann sind sie aufgerufen, mehr auf den Weg zu bringen: Nämlich die dringend notwendigen gesetzlichen Veränderungen. Auf diesem Weg ist Christel Brem selbst ein Stück weit Politikerin geworden – und eine erfolgreiche dazu:

Ihre Eingaben und Anregungen zur verstärkten Forschung und Kennzeichnung der in Textilien eingebrachten Chemikalien führten zum Bundestags-Beschluss zur Kennzeichnungspflicht gesundheitsschädlicher Textilchemikalien, zur Gründung der Arbeitsgruppe Textilien beim ehemaligen Bundesgesundheitsamt, zur Vergabe von Forschungsaufträgen, zu gesetzlichen Verbots – und Begrenzungsregelungen, zu freiwilligen Verzichtserklärungen der deutschen Textilindustrie, sowie zur Einführung des weltweit am meisten verbreiteten Textilprüfsiegels „Öko Tex Standard 100“.

Selbst die Bundesregierung konstatierte in einer Antwort, dass es sich bei einem Großteil der den Textilien zugesetzten Chemikalien um gefährliche Stoffe und Zubereitungen im Sinne des Chemikaliengesetzes handelt, mit der Gefahr von gesundheitlichen Auswirkungen auf die Träger von Textilien und dass nur finanzielle Gründe der Reduzierung der Giftbelastung im Wege stehen.

Ihre Recherchen im Bereich der Gutachter haben selbst die seinerzeitige Justizministerin Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin betroffen gemacht und zur Einsicht verholfen, dass „es in der Tat so zu sein scheint, dass die sozialmedizinische Begutachtung mit einer Reihe von Problemen behaftet ist.“ (so in einem Schreiben vom 20.8.99 an den BR)

Dass diese Probleme aber auch und besonders im Bereich des Vollzugs bestehender Gesetze vorliegen, war Frau Brem im Laufe ihrer Tätigkeiten sehr schnell bewusst geworden.
Sie, die ursprünglich von der zuständigen Berufsgenossenschaft als besonderer Einzelfall dargestellt worden war, erlebte anhand der vielen Rückmeldungen betroffener Menschen nach ihren öffentlichen Auftritten, dass dies keinesfalls richtig sein konnte.

Tatsächlich hatten die Berufsgenossenschaften jahrelang vorsätzlich ihre Meldepflicht nach dem Chemikaliengesetzes nicht wahrgenommen und so im Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin den Eindruck zu erwecken versucht, dass es nur eine minimale Zahl meldepflichtiger Verdachtsfälle gebe.

Die Berufsgenossenschaften aus Bayern hatten bis 1999 noch nie eine der vorgeschriebenen Meldungen an das BgVV weitergegeben. Dies änderte sich erst nach einer auf Intervention von Frau Brem erfolgten ultimativen Aufforderung an die Berufsgenossenschaften durch die zuständigen Ministerien im Bund und in Bayern, „endlich ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach dem Chemikaliengesetz nachzukommen,“ nachhaltig.

So stieg im Jahr 2000 die Zahl der Meldungen auf 2161 und im Jahr 2001 auf fast 8000 – eine Zahl, die das Ausmaß der eigentlichen Chemikalienbelastungen in Deutschland annähernd korrekt wiedergibt.

An dieser Arbeit und am Erreichen dieser Erfolge haben andere sicherlich mitgeholfen: der Selbsthilfeverband AbeKra mit Frau Dr. Angela Vogel an der Spitze gehören dazu, – insbesondere auch der ehemalige Referatsleiter beim Bundesamt für Datenschutz, Ingolf Spikschen, – der Verband der Holzschutzmittelgeschädigten – und engagierte Journalisten wie Frau Beatrice Sonhüter und Frau Silvia Matthies vom Bayerischen Rundfunk.

Sie alle aber hätten nichts bewegen können ohne das fast 20jährige unermüdliche Engagement der heutigen Preisträgerin Christel Brem, die vor allem eines auszeichnet: Die unerschütterliche Zuversicht, mit positiver Energie das Los der Betroffenen verbessern zu können.

Hierfür danken Ihnen, liebe Frau Brem, – alle Betroffenen und alle, die Ihre Arbeit begleiten durften; – die Sie überzeugt haben durch Ihr großes, erworbenes Fachwissen, – durch die Redlichkeit Ihrer Argumente, Ihren Mut und Ihre Hartnäckigkeit, Veränderungen herbeizuführen, – zum Wohl der Gesundheit derer, die mit Textilien umgehen müssen und derer, die in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren auf das Urteil von Sachverständigen und Gutachtern angewiesen – und diesen – dank Ihrer Arbeit – hoffentlich nicht weiterhin ausgeliefert sind.

Ich gratuliere Ihnen zu dieser heutigen Auszeichnung von ganzem Herzen.“

Laudatio: Heiko Schultz MdL, Mitglied des Bayerischen Landtags