Welche Rolle spielen Gutachter?

Gutachter müssen neutral sein. Leider sind sie das nur in seltenen Fällen. Wie könnte es sonst möglich sein, dass nur etwa 5 % aller als berufskrank gemeldeten Fälle durch die BGen anerkannt und entschädigt werden? Und nicht etwa 26 % Anerkennungen und Entschädigungen durch die Berufsgenossenschaften, wie es fälschlicherweise und dreist bei Wikipedia unter „Berufskrankheiten“ behauptet wird!

Die Berufsgenossenschaften führen Listen mit ihnen genehmen Gutachtern. Aus diesen Listen bekommt der Erkrankte dann Gutachter zur Auswahl vorgeschlagen. Lange Zeit verschwieg die BG, dass der Erkrankte selbst einen Gutachter vorschlagen kann.

Hat ein Geschädigter tatsächlich einen neutralen Gutachter gefunden, der aufgrund der beruflichen Exposition ein positives Gutachten für ihn erstellt, so erkennt die Berufsgenossenschaft dies noch lange nicht an. In aller Regel lässt die BG dieses Gutachten durch weitere Gegengutachten entkräften.

Wie langwierig solche Verhandlungen geführt werden, soll am Beispiel des Ehepaares Kroth aufgezeigt werden:

Bei Theo Kroth erstattete der Hausarzt Dr. Helling 1998 eine Anzeige über eine Berufskrankheit durch halogenierte Chlorkohlenwasserstoffe nach BK Ziffer 1302. Daraufhin schlug die Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft Augsburg drei Gutachter vor, von denen zwei ausschließlich Psychiater waren. Einer war gerade in Urlaub, der andere war Dr. med. Werner, Chefarzt der Psychiatrischen Abteilung des St. Elisabeth-Krankenhause in Wittlich.

Frau Kroth war misstrauisch und rief im Sekretariat der Klinik an. Sie erfuhr, dass Dr. Werner keine Ahnung von Lösemittelerkrankungen habe. Wie sollte er dann ihren Mann begutachten können? Sollte Herr Kroth durch ein Psychiatrisches Gutachten von vorne herein abgelehnt werden?

Herr Kroth wurde dann von Dr. Mattes, Neurologe und Psychiater im REHA Zentrum Bernkastel, begutachtet. Dessen Gutachten ließ keinen Zweifel daran, dass die Erkrankungen Herrn Kroths berufsbedingt seien. Er bewertete die Berufskrankheit mit einer MdE von 20% – doch schlug er der BG die Einholung eines weiteren arbeitsmedizinischen Gutachtens bei Prof. Konietzko vor.

Wie dieses 1999 erstellte Arbeitsmedizinische Gutachten ausgefallen ist, können Sie auf dieser Homepage lesen unter:

„Offener Brief an Prof. Dr. Konietzko“

Da aber Prof. Konietzko behauptete, eine Berufskrankheit liege bei Herrn Kroth nicht vor, klagte dieser vor dem Sozialgericht Koblenz. Trotz eines weiteren positiven Gutachtens durch Prof. Huber nach § 109 (dies ist ein Gutachten, das der Geschädigte selbst bezahlen muss), wurde Herr Kroth im Jahr 2002 vom Sozialgericht Koblenz abgewiesen.

Nach Klageerhebung vor dem Landes-Sozialgericht in Mainz musste sich Herr Kroth 2003 einem weiteren Arbeitsmediziner, Dr. R. aus Krefeld, vorstellen. Dieser Gutachter bewies, dass Prof. Konietzko im 1999 erstellten Gutachten über Theo Kroth eine Aussage gemacht hatte, die im krassen Gegensatz zu der Publikation des Prof. Konietzko aus demselben Jahre 1999 steht. Aufgrund dieses vierten Gutachtens wurde Herr Kroth als berufskrank anerkannt und erhielt eine kleine Rente, die im Jahr 2005 wegen Verschlimmerung und aufgrund eines weiteren Gutachtens erhöht wurde. Die MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) betrug nun 50%.

Herr Kroth verstarb im Januar 2008. Nach seinem Tod erbat die Berufsgenossenschaft die Zustimmung Frau Kroths zu einem pathologischen Gutachten. Frau Kroth gab diese nur unter der Bedingung, dass die Pathologen des Bundeswehr-Zentralkrankenhauses Koblenz verpflichtet wurden, Gewebeproben ihres Mannes einzufrieren; sie behielt sich vor, das Gutachten überprüfen zu lassen. Möglicherweise wollten die Pathologen ihr Gutachten nicht auf dem Prüfstand sehen? Es wurde jedenfalls korrekt ermittelt. Das pathologische Gutachten beweist, dass Herr Kroth neunzehn Jahre nach (!) Berufsaufgabe an den Schadstoffeinwirkungen von PER gestorben ist. Aufgrund dieses pathologischen Gutachtens und eines weiteren Gutachtens von Prof. Dr. Huber erhielt Herr Kroth rückwirkend für das letzte Lebensjahr eine MdE von 100% für die vorliegende Berufskrankheit zuerkannt.

Frau Kroth hatte 26 Jahre lang im selben Raum der Reinigung gearbeitet wie ihr Mann. Sie war bei 70 – 72 Stunden Arbeitszeit wöchentlich ebenfalls hohen Expositionen ausgesetzt und erkrankte schwer. Dafür gibt es genügend Beweise: zahlreiche Arztberichte und mehrere eidesstattliche Zeugenaussagen. Doch Frau Kroth wurde nicht anerkannt.

Die BG hatte die TAD-Berichte über Frau Kroth derart verfälschend abgefasst, dass die Gutachter aufgrund der irreführenden TAD-Berichte behaupteten, sie sei keinen Expositionen ausgesetzt gewesen. Eine niedrige Emissionsmessung von 1990, die bei ihrem Geschäftsnachfolger Clasen an einer nagelneuen Maschine getätigt wurde, sollte das u.a. beweisen. Die Messung aber betraf Frau Kroth gar nicht, weil sie bereits ein halbes Jahr vor dieser Messung ihren Beruf aufgegeben hatte.

Frau Kroth hatte den Gutachtern bei der Anamnese ausführlich über die Einwirkungen der Lösemittel berichtet, den sie ausgesetzt war. Weder diese Angaben noch die daraus resultierenden Krankheitssymptome interessierten die Gutachter. Sie stützten sich ausschließlich auf die Angaben in den fehlerhaften TAD-Berichten.

Die BG lehnte die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Auch ihre Klage vor dem Sozialgericht Koblenz verlor Frau Kroth 2001. Ein neues Verfahren aus dem Jahr 2005 verlor sie 2009, hat man sie möglicherweise wegen ihrer Homepage abgestraft? Lesen sie einen Kommentar über diese unglaublichen Verfahren in:

Dreimal gekämpft – und doch verloren

Es gibt den Begriff des „Gutachter(un)wesens“ oder auch das Wort „Schlechtachter“

1988 konnte abeKra eine Liste mit 162 Gutachtern veröffentlichen, die heimlich auf der Gehaltsliste der Berufsgenossenschaft standen, also nicht neutral waren!

1994 veröffentlichten Antje Bultmann u. Friedemann Schmidthals, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf.:

Käufliche Wissenschaft
Experten im Dienst von Industrie und Politik

1999 veröffentlichte abeKra in Berufskrankheiten aktuell Nr. 24/25 einen fünf Seiten langen Artikel des Münchner Rechtsanwaltes Dr. Hugo Lanz:

Zweiklassenrecht durch Gutachterkauf
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing

2005 beschrieb Prof. Frentzel-Beyme an konkreten Fallbeispielen die Fehlentscheidungen der Gutachter gegen den Stand des Wissens in seinem Buch:

„Berufskrankheiten im Verständnis bewährter Gutachter
der Berufsgenossenschaften“
Deutscher Anwalt Verlag, Bonn

2005 veröffentliche die taz einen Artikel:

Wer zertifiziert die Gutachter?

Danach bilden Berufsgenossenschaften selbst Gutachter aus, die mit einem Zertifikat ausgezeichnet werden. Liegt es nicht nahe, dass diese Gutachter im Sinne der BGen geschult werden und ihre Gutachten dem entsprechend erstellen? Zumal Insider sagen, dass gutbeschäftigte Gutachter ein Nebeneinkommen von jährlich einer Million Euro und mehr erzielen. Erfahrungsgemäß vergibt die Berufsgenossenschaft Anschlussgutachten nur an die Ärzte, die „brauchbare“ Gutachten erstellt haben. Da dürfte der Begriff des „Gutachterunwesens“ wohl nicht zu weit hergeholt sein?

Lesen Sie auch auf dieser Homepage den Beitrag:

Das Gutachter(un)wesen