-
Der Fall Kroth
-
Versäumnisse der Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft Augsburg (heute Energie Textil Elektro)
In den 50er und 60er Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in Österreich, Tausende von sogenannten „heißen Läden“ in der Reinigungsbranche eröffnet.
Die Entwicklung neuer, relativ kleiner Reinigungsmaschinen machte es möglich, dass diese Maschinen mitten in der Stadt in Läden mit großen Schaufenstern aufgestellt wurden, so dass nun unter den Augen der interessierten Kunden die Kleidung gereinigt und gebügelt werden konnte.
Sie hießen „heiße Läden“ im Gegensatz zu „kalten Läden“, die nur als Annahmestellen für Industriebetriebe draußen vor der Stadt fungierten. Das Konzept der „Schnellreinigungen“ war einleuchtend: Keine langen Lieferzeiten mehr – die Kleidung sollte in einer Stunde abholbereit sein.
Angeworben wurden vor allem Berufsfremde, da nach Aussage der Maschinenhersteller die Bedienung der Reinigungsmaschinen kinderleicht war, ebenso der Einsatz der Bügelmaschinen. Der Betrieb musste nur bei der Gewerbeaufsicht angemeldet werden. Er galt als handwerklicher Betrieb. Zwingend vorgeschrieben war die Versicherung bei der Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft (TBBG) in Augsburg.
Die Lieferfirma für Reinigungsmaschinen vermittelte den Neukunden für kurze Zeit zu einem Kollegen zum „Anlernen“, meisten für drei Wochen. Hier sollte er das nötige Rüstzeug erhalten, um die eigene Reinigung erfolgreich führen zu können.
Natürlich wusste die Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft, dass die neuen Betreiber der Laden- oder Schnellreinigungen weder eine Ausbildung als Chemiker noch als Reiniger hatten. (Chemiker absolvieren ein Studium, Chemischreiniger ist ein Lehrberuf, der bis zur Meisterprüfung führt).
Als Gesetzlicher Unfallversicherer kannte die TBBG genau die bisherigen Berufe ihrer neuen Zwangsmitglieder, die als Berufsfremde natürlich auch keine Kenntnisse über die toxischen Wirkungen der Arbeitsstoffe hatten, mit denen sie jetzt täglich umgehen mussten!
Nun hätte man annehmen können, dass die Berufsgenossenschaft den Neulingen in der Branche das fehlende Wissen vermittelt hätte. Allein schon, um dem gesetzlichen Auftrag nachzukommen, Unfälle und Berufskrankheiten zu verhindern. Das geschah allerdings nicht.
Laut eigener Aussage vom Nov. 2002 gegenüber MONITOR schickte die Berufsgenossenschaft den Reinigern ab 1970 jährlich ein Mitteilungsblättchen, in dem angeblich über Gefahren von Lösungsmitteln gewarnt wurde.
Ab 1970! Und was schickte sie den Reinigern in den Jahren vor 1970? Auch das Ehepaar Kroth hat in den ersten sechs Jahren seiner Berufstätigkeit als Reiniger (1963 bis 1969) absolut keine Informationen von der TBBG erhalten. Die Rechnungen für die fälligen Beiträge kamen dagegen pünktlich.
Die Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft ist laut Gesetz SGB VII § 17 verpflichtet, Unfälle und Berufskrankheiten zu verhindern. Sie haben die Unternehmer zu unterrichten und die Durchführung der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten, arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu überwachen sowie Unternehmer und Versicherte zu beraten. Die Unfallversicherer sind nach § 18 verpflichtet, Aufsichtspersonen in der für eine wirksame Überwachung und Beratung gemäß § 17 erforderlichen Zahl zu beschäftigen.
Wie gut ist sie denn diesen gesetzlichen Auflagen nachgekommen?
Der Betrieb des Ehepaares Kroth ist in 26 Jahren Betriebszugehörigkeit weder überwacht noch beraten worden.
Nicht einmal nach dem Berufsunfall vom 29.10.1979 gab es irgendwelche Warnungen. Auch unterblieben jegliche Hinweise für Vorsorgeuntersuchungen. Es gab nach dem Unfall nicht einmal Informationen über eventuell später auftretende Gesundheitsschäden! Dem Gutachter, Prof. Valentin, der die Erkrankungen von Inge Kroth nach dem Unfall beurteilen sollte, lag ein absolut nichtssagender TAD-Bericht der TBBG vom 10.09.1980 vor. Er kann nachgelesen werden auf dieser Homepage unter „Gefälschte Aussagen der TBBG Augsburg“.
Im Jahr 1987 stellte man durch wissenschaftliche Untersuchungen fest, dass chlorierte Kohlenwasserstoffe (also Perchlorethylen) durch Wände und Decken dringen und fetthaltige Lebensmittel in benachbarten Wohnungen und Läden vergiften.
Aber erst ein Jahr später – also 1988 – warnte die Berufsgenossenschaft in ihrem Mitteilungsblättchen vor dem Verzehr von Lebensmitteln und Getränken in den Betriebräumen.
Wie aber passt diese Warnung zu der Aussage der Berufsgenossenschaft von 1989: Im Mittelungsblatt der Berufsgenossenschaft von 1989 wurde Perchlorethylen noch als mindergiftig deklariert!Die Untersuchungen in der unmittelbaren Umgebung von Reinigungen und die daraus gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse führten schließlich zu einer neuen Bundes-Imissions-Schutz-Verordnung.
Nach dieser 2. BimSchV mussten im Januar 1990 per Gesetz alle in der Bundesrepublik vorhandenen Reinigungsmaschinen durch neue ersetzt werden!
Tausende von Reinigungen in Deutschland (und Österreich) mussten schließen, weil ihre Anlagen den verschärften Bestimmungen der neuen 2. BImSchV nicht entsprachen.
Aus heutiger Sicht ist es unverständlich, dass der Gesetzgeber zwar die zwangsweise Versicherung der berufsfremden Schnellreiniger bei der Berufsgenossenschaft verlangte, die gesetzlich verankerten Aufgaben der Berufsgenossenschaft aber nicht kontrollierte, sondern ausschließlich in deren Verantwortung stellte.Wie gut also ist die Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft ihren gesetzlichen Auflagen nachgekommen? Hätte sie die Betriebe regelmäßig überprüft und beraten, hätte sie sich für die Herstellung besserer Reinigungsmaschinen eingesetzt, hätten nicht Tausende von Reinigungen 1990 schließen müssen.
Im Übrigen ist es bisher noch keinem der unzähligen Reiniger, die durch Lösungsmittel erkrankten, gelungen, durch ein Sozialgerichtsurteil als berufskrank anerkannt zu werden. Es gibt keinen Präzedenzfall, auf den sich andere Geschädigte berufen könnten. Lässt ein Sozialgericht erkennen, dass es der Anerkennung einer Berufskrankheit zustimmen wird, so bietet die Berufsgenossenschaft flugs einen Vergleich an. Doch für Vergleiche gibt es weder eine Statistik, noch kann man sich auf einen Vergleich berufen!