Unsere Reinigungsmaschine war bei der Anlieferung vom Haken des Kranwagens gestürzt und gaste stark aus. Es war unser erster massiver Kontakt mit Chemie, genauer gesagt mit Perchlorethylen und Trichlorethylen.
Bis dahin waren wir völlig gesund, voller Elan und Arbeitsfreude. Das Einatmen des Chemiegeruchs machte uns krank und reizte zum Erbrechen. Am Ende des ersten Monats litten mein Mann Theo und ich unter starken Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Magen- und Darmbeschwerden. Unsere Arbeitsfreude bekam einen Dämpfer.
Weitere Infos erhalten Sie unter „Lösungsmittel und kein Ende.“
Wir bekamen keine Aufklärung von der Berufsgenossenschaft, keine Warnung vor der Giftigkeit unserer Arbeitsmittel, mit denen wir täglich umgehen mussten. Trotz gesetzlicher Vorgaben! Erst ab 1970 schickte uns die Berufsgenossenschaft die ersten Mitteilungsblättchen, in denen vor dem Einatmen der Lösungsmitteldämpfe gewarnt wurde. 1970! Da waren wir beide bereits sehr krank.
Einigen Kollegen, die gleichzeitig mit uns eine Reinigung eröffnet hatten, ging es genau so, auch sie waren durch die damaligen, in der Regel mangelhaften Reinigungsmaschinen Lösungsmittelgasen ausgesetzt. Heute weiß man, es gibt unzählige Arbeitsplätze, an denen Menschen giftigen Arbeitsstoffen ausgesetzt sind: Sie erkranken an den Nerven, dem Immunsystem, sie erleiden Herz- und Hirninfarkte. Sie haben Haut- Blut-, Herz-, Leber-, Nieren-, Muskel- oder Skelettschäden. Sie leiden an Erkrankungen der Atemwege, an Allergien, häufigen Entzündungen, MCS oder Krebs.
Wir gaben unsere Reinigung 1989 an unseren Nachfolger weiter. Hätte uns nicht über lange Jahre ein sehr guter Privatarzt betreut, Dr. Kuntzmüller aus Stromberg, wir hätten wahrscheinlich nicht so lange durchgehalten; leider verstarb dieser fortschrittliche Arzt zu früh. Einige unserer Kollegen erreichten nicht einmal das Rentenalter.
Es sollte jedem Leser klar sein, dass die toxischen Erkrankungen die betroffenen Menschen sehr stark beeinträchtigen, dass sie bei fortschreitender Erkrankung Probleme haben, ihren Alltag zu bewältigen.
Sicher wird dies bei jedem anders sein. Hier kann ich nur berichten, welche Hürden im Alltag meines Mannes Theo Kroth und mir zu überwinden waren: Noch lange bevor die Berufsgenossenschaft meinen Mann als berufskrank anerkannte, mussten wir unsere Wohnung “entgiften”. Es wurden Teppichböden und Tapeten entfernt und durch ökologisch hergestellte ersetzt, weil die gewohnten Materialien plötzlich schlimme Reaktionen auslösten: Atemnot, Kopfschmerzen, Übelkeit. Dann stellten sich Unverträglichkeiten bei den verschiedensten Nahrungsmitteln ein und mussten, durch den Allergologen abgeklärt, strikt gemieden werden.
Freunde und Verwandte wurden gebeten, keine Parfüme oder Weichspüler zu benutzen, wenn sie zu Besuch kamen. Sie wurden auch gebeten, das Rauchen zu unterlassen. Einige Freundschaften sind am mangelnden Verständnis gescheitert.
Wir konnten nur noch ökologisch hergestellte Kleidung tragen, weil „normale Kleidung“, von den Herstellern mit Giften ausgerüstet, Hautreaktionen auslöste. Da wir durch den Kontakt mit dem Lösungsmittel in unserer früheren Reinigung erkrankt waren, gewöhnten wir uns an, unsere Kleidung nur noch mit Öko-Waschmitteln zu waschen. Auch im Haushalt benutzten wir keine chemischen Reinigungsmittel mit Duftstoffen mehr.
Wir kauften ausschließlich biologisch erzeugte Lebensmittel, da sie nachweislich besser verträglich waren.
Wir mussten erkennen, dass nicht nur Ärzte und Krankenkassen, sondern fast die gesamte Umwelt mit Unverständnis auf unsere Beschwerden reagierten. Wir mussten lernen damit umzugehen, dass man uns nicht für krank, sondern für hysterisch hielt.
So mussten wir neue Ärzte – Umweltmediziner – suchen, da die bisher aufgesuchten Ärzte mit Unverständnis auf die Unverträglichkeit „normaler Medikamente“ reagierten und uns für Simulanten hielten. Wir mussten erfahren, dass Naturheilmittel meistens keine Nebenwirkungen haben.
Dann mussten wir akzeptieren, dass es bei dieser chronischen Erkrankung keine Behandlung auf Krankenschein gibt, alles muss selbst bezahlt werden.
Die schlimmste Folge unserer chronischen Erkrankung von Nervenschäden, Gedächtnisstörungen, ständigen Schmerzen und Schlafstörungen ist die Isolation:
Kein Kino, Theater, Konzert oder Straßenfest, keine Besuche bei Freunden, da chemisch hergestellte Duftstoffe und Zigarettenrauch allgegenwärtig sind.
Kein sorgloses Einkaufen, da die meisten Läden wie Schuh- und Textilläden sofort Augenbrennen und Atemnot auslösen.
Kein Essengehen mit Freunden, da die aufgetischte Nahrung produktionsbedingt voller chemischer Gifte steckt.
Kein Verreisen, da Bus- und Zugreisen ebenfalls nicht verträglich sind.
Keine Möglichkeit ein Krankenhaus aufzusuchen oder ins Altenheim zu gehen, da die verwendeten Desinfektionsmittel ebenfalls akute Reaktionen auslösen.
Besonders entwürdigend waren die Untersuchungen bei Gutachtern der Berufsgenossenschaft. Obwohl mehrere Fachärzte vorher in umfangreichen Untersuchungen, zusätzlich mit SPECT, PET und CT-Aufnahmen abgesichert, unsere berufliche Erkrankung bestätigt hatten, wurden wir beide von den Gutachtern abgeschmettert. Eine private fachärztliche Untersuchung hatte bei uns beiden eine genetisch bedingte Leberentgiftungschwäche nachgewiesen. Wir hätten niemals einen Beruf ergreifen dürfen, in dem mit chemischen Substanzen gearbeitet wird. Ca. 50 Prozent der Deutschen haben die gleiche Schwäche, sie nennt sich Glutathion S Transferase. Aber in der Regel wird eine solche Leberentgiftungsschwäche erst dann festgestellt, wenn der Betroffene bereits schwer erkrankt ist.
Wir mussten, jeder für sich, zuerst vor dem Sozialgericht Koblenz, später vor dem Landessozialgericht in Mainz Klage gegen die Berufsgenossenschaft erheben.
Dies alles war nicht leicht zu verkraften, aber wir waren zu zweit und stützten uns gegenseitig. Schließlich wurde mein Mann als berufskrank anerkannt (zum Schluss mit einer MdE von 100 Prozent), ich selbst wurde dreimal von der BG abgewiesen.
Als mein Mann Pflegefall wurde, entschied ich mich dazu ihn selbst zu pflegen. Der Gedanke, ihn in einem Heim weiteren Giften wie Desinfektionsmitteln oder unverträglichen Medikamenten auszusetzen, war mir unerträglich.
Schlimm wurde die Situation, als die verordneten Tabletten nicht gegen seine starken Schmerzen halfen und der Hausarzt meinem Mann eine Kortison-Spritze geben musste. Diese löste eine starke Allergie aus, Theo litt an unerträglichem Juckreiz und musste tagsüber, aber vor allem mehrmals in der Nacht, da die Bettwärme den Juckreiz verstärkte, ganz abgewaschen und mit einer Salbe von mir behandelt werden.
Nach dem Tod meines Mannes im Jan. 2008 stellte ich mich wegen stärkster Gelenkschmerzen dem Orthopäden, Dr. Papendieck, vor. Ich konnte mich nur noch auf Krücken bewegen, der Arzt schlug mir eine baldige Operation vor. Ein künstliches Hüftgelenk sollte meine Schmerzen reduzieren.
Allerdings musste ich diese OP ablehnen, da ich aufgrund meiner Lösungsmittelerkrankung keine starke Betäubung vertrage. Eine Hüftgelenk-Operation ohne Betäubung ist nicht möglich, der Eintrag in meinem Allergieausweis beweist dies. Der Hausarzt stellte bei der Krankenkasse einen Antrag, seitdem mache ich meine Besorgungen mit einem Elektro-Rollstuhl.
Es gibt viele Läden, die ich aufgrund meiner nachgewiesenen Duftstoff-Mix-Allergie nicht mehr betreten kann. Die dort verwendeten Düfte oder die Plastikgerüche sind die reinsten Chemiebomben.
Der Allergie-Ausweis ist auch hilfreich im Wartezimmer beim Arzt. Ist einer der Wartenden parfümiert, so darf ich mit Hinweis auf meine Allergie in einem separaten Raum warten.
Ein Leben mit solchen Einschränkungen ist nicht einfach zu leben. Aber es gibt unzählige Menschen, denen es genau so oder ähnlich ergeht: Umweltmediziner sind höchst alarmiert. Sie machen auf den rasanten Anstieg und das Ausmaß umweltbedingter Erkrankungen aufmerksam! Bereits jeder Dritte leidet in Deutschland an Allergien, chemische Substanzen werden als auslösende Ursache gesehen. Sorgen bereitet auch die miserable Spermienqualität der deutschen Männer – auch hierfür werden Umweltgifte angeschuldigt – eine wissenschaftliche Langzeitstudie in Ungarn dagegen macht auch die Handy-Strahlung dafür verantwortlich. Jedenfalls wurden die Gefahren, die von „alltäglichen“ Chemikalien ausgehen, lange Zeit völlig unterschätzt.
Jeder Leser möge sich überlegen, wie er Chemie im Alltag vermeiden kann. Ich würde mich freuen, wenn mein Beitrag auf dieser Homepage „Gifte in der Umwelt“ dazu eine Hilfe sein könnte.